Anliegen des Projekts

Die Bildhauerin und Malerin Hedwig Woermann (1879-1960) gehört zu der Generation von Künstlerinnen und Künstlern, die nach der Beendigung des Zweiten Weltkrieges in den abgelegenen Dörfern der Künstlerkolonie Ahrenshoop auf dem Fischland-Darß verblieben. Ihr Schicksal wurde, wie das vieler anderer Künstler auf dem Fischland-Darß, von drei historischen Prozessen bestimmt: Nachdem die Russen in einem kurzen Besatzerauftritt 1945 ihre Spuren hinterlassen hatten (auch die Arbeitsstätte Jaenichen-Woermann in Barnstorf wurde zerstört), zog das normale Leben nur sehr langsam wieder in die Dörfer zwischen Meer und Bodden ein. Die Touristen als ihre wichtigsten Käufer blieben aus, die Versorgung mit Mal- und Gestaltungsmaterial war mangelhaft. Jede alte Glasscheibe, jede Schulheftseite, jedes Stück Packpapier wurde für künstlerische Arbeiten verwandt, manchmal auch doppelseitig. Bilder wurden bei den Bauern gegen Eier, Getreide oder Fleischprodukte getauscht, benötige Hilfsleistungen (wie Hedwig Woermann in ihren späten Briefen an Jürgen von der Wense beschreibt) durch das Portraitieren der ‚Helfer‘ oder deren Familienmitglieder entgolten.

Während auf dem Territorium der alten Bundesrepublik allmählich Meinungs-und Gestaltungsfreiheit einzog, sollte die künstlerische Nachkriegsgeneration im sowjetisch verwalteten Teil Deutschlands von einem gerade gescheiterten Heldenrealismus zu einem neu verordneten sozialistischen Realismus übergehen. Zahlreiche Künstler verließen daher nach 1950 die Region und das Land Mecklenburg. Hedwig Woermann, die 1945 mit ihrem Mann zusammen in den Freitod ging, wurde von Einheimischen ins Leben zurückgeholt. Sie war zu alt, zu mittellos und fühlte sich dem Wirkungs- und Sterbeort ihres langjährigen Künstler- und Lebensgefährten zu verbunden, um Wustrow noch einmal zu verlassen.

Die kunstwissenschaftliche Aufarbeitung und Darstellung der künstlerischen Leistungen dieser Nachkriegsgeneration hat in vollem Maße erst nach der Wiedervereinigung Deutschlands begonnen und setzt sich heute noch fort. Dabei hat sich herausgestellt, dass besonders die künstlerisch begabten Frauen unter dem allgemeinen Vergessensprozess zu leiden hatten, denn sie waren in diesen Notzeiten vorwiegend mit der Ernährung der Familien und Erziehung der Kinder beschäftigt. Hinzu kam, dass diejenigen Teile künstlerischer Biografien, die nicht auf ostdeutschem Gebiet gelebt worden waren, nicht umfassend erforscht werden konnten.

Der ‚Fall Woermann‘ ist für diese Konstellationen ein Musterbeispiel: An sechs Orten in Deutschland (Dresden, Erfurt, Hamburg, Worpswede, Kassel, Hannover), in der Schweiz (Bern) und in Frankreich (Paris) liegen briefliche Nachlässe oder wichtiges Zeitzeugenmaterial, das uns bisher für die Woermann-Forschung nicht zugänglich war. Diese Schätze zu heben und sie der Forschung zugänglich zu machen ist daher das Anliegen des Projektes.